IV Zirkularität

Welchen Einfluss hat die Materialität – im Sinne eines Sichtbarmachens – von Textentstehungsprozessen und –stufen für den Prozess des Textverständnisses (oder: der Textinterpretation)? (sja)

Wie oben angedeutet, wurde durch die Einführung einer zweiten und dritten Prozessstufe, der lécture automatique und der Interpretation maschineller Misslektüre der Ichschriften ein Mechanismus eingeführt, der in der Abfolge der (Schreib- und Verständnis-)Handlungen, der „Rekritüren“ (also: der Transkriptionen), mit einer Handlungskette, die man kettenförmig

Lesen – Erinnern – Verknüpfen – Schreiben – Lesen

bezeichnen könnte.

Diese Zirkularität wird in mehrfacher Weise sinnfällig. Und sicher könnte sie nach obigem Modell weiterbetrieben werden. Nach gewissen (Zeit-)Abständen könnte das so entstandene Material theoretisch wieder aufgenommen werden und eine (rezeptive, skriptive, poetitive) An- und Neuverwandlung, ein weiterführender Schreibprozess ausgelöst werden.

Mit genug zeitlichem Abstand, mit Schicksalsfügungen also – man denke an Klees verwitternde Hand, die mit ihrer fortschreitenden Unbrauchbarkeit ganz andere Texte, Längen, Inhalte und damit: ganz andere Werke schuf – würde sich auch die Schriftästhetik eines Folgeprojektes verändern und wäre im Abgleich in der Tat mit jener nuancierten Zeichnung eines Verstehensprozesses vergleichbar. Die Ichschrift ist also nicht nur Gebrauchstext, sondern ein manchmal historischer, manchmal ein literarischer Korpus von Aufzeichnungen.

Das Gadamersche Modell einer Textannäherung bzw. -begegnung (7), eines Verständnisses von Text, das nur über das Vorhandensein von Vorverständnis gebildet werden kann, da sonst generell kein Verstehen möglich wäre, schliesst hier die Aussergewöhnlichkeit ein, dass historischer Produzent (auch: hist.-maschineller Lektor) und Rezipient des Textes in dieser Anordnung zusammenfallen. Das Objekt wird damit in seiner existentiellen Struktur um einen Subjektanteil erweitert, und eigentlich verschiebt sich ein quasi-historisches Interesse durch mein eigenes Lesen meines Geschriebenen, das zwar grossenteils wieder präzise erinnert, aber auch mehrdeutig rekonstruiert (und hier wird der Vorverständnisanteil explizit) zu einer Analyse „meiner Selbst“, das so Subjekt 2. Grades dieses Texts werden muss.

Das Selbst 1. Ordnung als Interpretationsquelle in diesem hermeneutischen Verständnis ergibt sich aber nicht nur aus einer historischen, sondern hier auch speziellerweise: ästhetischen Differenz. Eine Ausweitung der Verstehenszone „meiner Selbst“ wird also durch eine zusätzliche „Irritation“ ästhetischer Differenz begünstigt.

Die Verschärfung meines Selbstverständnisses durch – nicht Schmälerung, sondern – Verbreiterung der Materialbasis von Sinnlichkeit (der gleichzeitigen Möglichkeit differenter Quellarten) von Subjektivität, verschiebt dieses Textensemble noch stärker in den Objektstand. Und das so aufs Selbstverständnis applizierte Modell hermeneutischer Zirkularität (hier tatsächlich noch im Zustand eines gedachten Zirkels, obwohl, wie oft angemerkt wurde, ein weiterer Betrieb dessen eher in eine spiralhafte Struktur münden dürfte) käme hier als gültige Metapher sowie Element einer wieauchimmer formulierten Poetologie in Frage. Allein: Der Begriff der „Quelle“ bei einer tatsächlichen historischen Differenz von 1-2 Jahren mag stark übertrieben sein. Doch kann auch jenseits quellenkritischer Begrifflichkeit der Prozessmechanismus als solcher bezeichnet werden, sieht man die „ästhetische Differenz“ als manifesten Aspekt einer hermeneutischen Differenz.

Wozu das Ganze? Mit dieser kleinen Überlegung soll begründet werden, dass ein nichthandschriftlich verfasster Text von Grunde aus als einer mit einer verengten Aspektierung von Textverständnis in der (Selbst-)Rezeption aufgefasst werden muss, kurz: Quelle ist nicht gleich Quelle. Und etwas radikaler: typographierter Text ist somit von vornherein reduzierter Text, seine Lektüre wird im Rahmen einer Reduktion des Verstehensprozesses angenommen und verstanden, vor allem, wenn das Zu-Verstehende man selbst ist. Eine apriorische und unmittelbare Erzeugung von z.B. digitaler Textlichkeit muss aber damit auch automatisch eine Enthistorisierung von Textualität bedeuten. Eine Untersuchung von Prozessen bleibt immer eine Untersuchung von Schwundstufen.

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(7) z.B. in Gadamer, Hans-Georg: Wahrheit und Methode. 1960.

III Kleine Formen, Semiose

In I. erläuterst Du, welche Bedeutung und Folgen für Dich selbst die eigene Handschriftlichkeit besitzt. Welche Folgen hat darüber hinaus das handschriftliche Verfassen von Texten etwa in formalästhetischer Hinsicht und nicht zuletzt in Hinsicht auf den Inhalt des Textes und sein Bedeutungspotenzial? (sja)

Zu schreiben, oder überhaupt: an ein Schreiben zu denken, ausgehend von einer Idee, die sich noch auf der Suche nach ihrer Form befindet, einer kaum umrissenen Einheit also, die sich bislang lediglich in einer Wolke von Begriffen (tag cloud) zusammenziehen könnte, näherte ich mich dieser Unternehmung, wie auch schon einigen vorangegangenen, über ein Denken in Modulen, oder vielleicht besser: einem, wie bei vielen Schreibenden üblich, Erzeugungsprozess von kleinen Elementen, die in sich schon gewisse poetische Spuren oder Kerne, Ansätze oder Skizzen hinsichtlich eines Themas tragen, also möglicherweise einen Satz von Variablen darstellen, die aber offen genug sein müssen, als Gerüst und Baustelle eines grösseren Zusammenhangs zu dienen, gleichzeitig aber auch als unabhängige, frei stehende Skulptur figurieren könnten, soweit und insofern ausgeführt, dass ein klarer Gedanke oder eine Idee, zumindest extrahierbar, ableitbar oder zu erahnen wäre, dies wenigstens mit einigen, wenn auch kleinen Schnittmengen zu Elementen mit vielfach anderen „Variablen“. Dies sollte ein Grundzug sein dessen, was ich (auch jenseits aller klassischer Gattungen) immer wieder „kleine Form“ (oder deren Sammlung) nannte, und die auch hier eine Rolle spielen soll.

Waren frühere kleine Formen und deren Verbünde ganz oder hauptsächlich fiktionale heterogene (Die Träume meiner Frau), fiktionale homogene (Dranmor, ein Passagenroman) Mischtypen aus Sach- und fiktionalem Text (Bibliotheca Caelestis), so geht dieser Ansatz noch einen Schritt weiter und bezeichnet als „kleine Form“ o.g. Amalgam unterschiedlichster Textsorten. So gesehen, können also in einer (Ichschrift-)Einheit narrative, poetische, prosaische, assoziative, automatische oder automatisierte, deskriptive und transkriptive Passagen ineinander übergehen oder sich miteinander in Beziehung setzen, bzw.: sie werden miteinander konfrontiert. Erklärtes Ziel war es ausdrücklich nicht, solide, abgeschlossene Texte zu fabrizieren, die dann auf Kohärenz analysiert werden könnten, sondern – so oder so – ein Ergebnis anzustreben, eine Schrift, ein Schriftstück, das einen gesamten ästhetischen Prozess abbilden konnte, aber unter einem anderen Modus der Bewusstseinsübung. Vielleicht mag man das ein stark strukturalistisch beeinflusstes Verfahren nennen, aber, wie gesagt, soll diese Produktion, da nicht wiederhol- oder verfeinerbar, auf stabilen Parameter aufbauen, die ein spezifisches Gewebe oder Geflecht, zumal mit offenem Ausgang konzipiert, – und vor allem jenseits üblicher literaturkritischer Gattungsdiskussionen oder Bewertungen – sprachlich auch wieder einzufangen vermag. Mit der hier also als Variante oder Spezialgattung vorgestellten „kleinen Form“ soll also nicht eine poetische Schablone im herkömmlichen Sinne gemeint sein, sondern die Poetizität einer Textur meint hier gleichzeitig noch eine weitere, produktionsästhetische Kategorie im wortwörtlichsten Sinne mit. Das Hinzudenken der Bildlichkeit des Produkts und die Planierung (Nivellierung) inhaltlich ureigener, divergierender Textmuster durch die Oberfläche eines gleichgestaltenden Zuges (der Handschrift, nämlich).  Weiter zu untersuchen, ob dieses Verfahren auch auf (fremder) Rezeptionsseite fruchtete oder bestimmte Effekte zeitigte, kann nun leider nicht von dieser Schrift geleistet werden. Aber aus eigener Beobachtung heraus, bin ich versucht zu sagen, dass, was die Beurteilung des eigenen Textes angeht, eine über die Handschrift produzierte, kleine Form tatsächlich qua solcherlei Massnahmen der Ästhetisierung von heterogenen Texten, und zwar viel mehr noch als „kleine Form“ im o.g. Sinne gelesen wurde, als sie (6) bei der Wiederbeschäftigung mit diesen den Eindruck erwecken konnten. Oder, zeichentheoretisch gesprochen: arbeitet handschriftliches Schreiben direkt oder hat Einfluss auf den Inhalt eines Textes. Und: die Verbindung von Signifikant (Handschrift) und Signifikat ist eine andere, als letzterer mit typographischen Signifikanten.

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(6) vgl. Transkriptionsseiten, unten

II Materie, Material, Materialität (Zu den Rahmenbedingungen)

Kannst Du uns die Genese der Mehrstufigkeit des Projektes erläutern? Welche Schwierigkeiten ergaben sich nach dem theoretischen Entschluss in materieller Umsetzung? (sru)

Das Warum. Die Frage nach dem Antrieb von bewusst handschriftlicher Textproduktion als Experiment, scheint mir also einigermassen geklärt. Das Was dagegen stellte schon vor schwierigere Entscheidungen. Einerseits sollte eine Schrift entstehen, die ihr Wesen nicht (nur) abgelenkt von ihrer inhaltlichen Reflektion entfaltete. Zudem sollte sie auch Inhaltliches zur Handschrift mit einschliessen, also gleichzeitig auch ihr Thema benennen und untersuchen. Da die Anordnung der eines Selbstversuchs entsprechen sollte, wollte ich auch Elemente des Selbst („Ichschrift“) in Form von biographischen Äusserungen (Biographemen) verarbeiten, die gewissen narrativen Strategien, wie z.B. bestimmten ästhetischen Kategorien einer kleinen Form, gehorchten.

Schon waren zwei Schreibansätze und –anlässe entstanden. Der thematische Zugriff musste also aufgrund der Beschäftigung mit Schriften und Sekundärliteraturen hierzu geschehen. Hier gingen Recherchen voraus. Jüngere bis ältere Literatur zum Thema aus unterschiedlichsten Wissensdisziplinen wurden zusammengetragen (5), begutachtet und auf Referenzstellen hin gelesen. Signifikante Exzerptstellen wurden festgelegt, die als Vorlage zu einer Abschrift hergenommen werden sollten. So konnte in einem Gang das Thema zumindest breit und an der Oberfläche angeeignet werden. Gleichzeitig wurde aus der Abschrift ein erster Teil einer Ichschrift-Einheit (eines Kapitels, einer Probe, wenn man so will: als Zünder oder Initial/Initiant). Der als eher narrativ gedachte Teil, der sich mit Biographemen beschäftigen sollte und ein Schreiben „aus dem Bauch heraus“ befördern sollte, versucht dabei einen Impuls aus dem ersten Teil zu übernehmen.

Eine wie auch immer geartete Quintessenz oder Assoziation aus der Abschrift, die auf einen intimen, privaten Bereich oder ein Ereignis verwies, sollte also immer einen Schreibprozess auslösen, in dem Erinnerungen, Rekonstruktionen oder Anverwandlungen miteinbezogen wurden. Daraus sind nicht immer Erzähl- oder Erinnerungstexte geworden. Bewusst wurde zugelassen, dass ein Biographem sich auch in anderen Textsorten oder –formen (Listen, Verdichtungen, Analysen, sprachlich heterogenen Passagen) äussern oder materialisieren konnte.

Ein weiterer, dritter Teil eines Ichschriftexemplars oder –kapitels, sollte sich explizit um das Schreiben in Verbindung mit reflektorischen oder sublimatorischen Prozessen kümmern. Dabei wurden die ersten beiden Teile (Die Abschrift, die Ichschrift) hergenommen und versucht, diese in irgendeiner Form zu kondensieren, zu abstrahieren oder sonstwie verdichtet ineinander zu legen. (Kurz habe ich mir überlegt, dies „die Umschrift“ zu nennen). Aufgrund dieser drei Um- und Vorzustände von Textproduktion wollte ich ein kleines Spektrum an Produktionsvorzeichen erzeugen, das überhaupt eine systematische Produktion sicherstellen konnte und gleichermassen gewisse inhaltliche Fäden, an die angeknüpft werden konnte, generieren bzw. auslegen.

Schon bei der Planung dieses Dispositivs kam die Überlegung, da die Ergebnisse auch digital verwertbar sein sollten, die Schrifterzeugung und –abbildung mit aktuell gängigen Möglichkeiten in Angriff zu nehmen. Nach diversen Tests mit Scannern, Softwares und digitalen Notizblöcken, wurde festgelegt, dass aufgrund von breiteren, auch theoretisch offeneren Anwendungsmöglichkeiten ein digitaler Notizblock (DN) ein gutes Urmedium der Niederschrift sein konnte.

Im Laufe dieser Überlegungen und nach weiteren Tests kam dann noch der Einfall, eine weitere Eigenschaft solch eines DN zu nutzen, der der Schrifterkennungsoption. Also wurde dem strukturellen Apparat einer Ichschrifteinheit auch noch eine vierte Dimension zugestanden, nämlich die der automatischen Lektüre und Schrifterkennung (folgend OCR, weitere Überlegungen dazu auch unten). Nach jeweiliger Verschriftung der drei Teile sollten diesen also als digitaler „Druck“- oder Typotext eine automatische Schrift gegenübergestellt werden, die aber freilich auf einem anderen Schreibprozess fusste. Vor Nutzung des OCR-Programms musste ein Schriftabgleichprozess durchlaufen werden, der die Software mit meiner Handschrift in einem gewissen Grund- oder Nullzustand vertraut machte und festlegte. Somit ist also in jedem Kapitel oder jeder Ichschrift-Gesamteinheit eine Struktur aus den Elementen Abschrift, Ichschrift, Umschrift und OCR angelegt.

Erst viel später, also nach Beendigung der Manuskriptherstellung wurde entschieden, dass dieser Vierteiligkeit, auch aus Gründen eines Lektüreangebots auf konventioneller Basis, eine Art „gesetzter“ Text gut täte. Dieser sollte das Ergebnis und Produkt der jeweils stattgefundenen Prozesse in sich aufnehmen und als poetisches Amalgam im wörtlichsten Sinne und in Form einer Transkription für sich lesbar sein. Diese Transkripte wurden als Einheit und Anhang hinter dem Manuskriptteil platziert.

Ich habe hier zunächst einmal versucht, nur die wichtigsten technischen-theoretischen Rahmenbedingungen zu benennen und ein paar Fragestellungen für kommende Überlegungen aufzuwerfen, die sich teilweise und auch erst während des Schreibprozesses (des Manuskripts) oder gar danach aufdrängten.

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(5) vgl. auch die Bibliographie im Anhang. Die Systemnummern dort verweisen dabei auf jene im Online-Katalog des IDS Basel-Bern, http://aleph.unibas.ch/

I mihi ipso scribo

Was treibt Dich dazu, im Zeitalter schwindender Handschriftlichkeit den Fokus auf eine aussterbende Kulturtechnik zu richten? Welche Erkenntnisse erhoffst Du Dir? Oder glaubst Du nicht an eine Erkenntnis, sondern nur an den Reiz des Archivierens? (sru)

„Verzeih mir meine unausstehliche Schrift und meinen Mißmuth darüber. Du weißt, wie sehr ich mich darüber ärgere, und wie meine Gedanken dabei aufhören“. Und: „Ja, die Barbarei meiner Handschrift, die niemand mehr lesen kann, ich auch nicht! (Weshalb lasse ich meine Gedanken drucken? Damit die für mich lesbar werden. Verzeihung, auch dafür!)“. Und: „Das Ms erweist sich seltsamer Weise als ‚unedierbar‘. Das kommt von dem Princip des ‚mihi ipso scribo‘.“ heisst es in Briefen Friedrich Nietzsches an Carl von Gersdorff, Franz Overbeck und Paul Rée. (1)

Entschuldigend, aber auch mit einem gewissen Selbstbewusstsein erläuternd, bemerkt Nietzsche also die Unlesbarkeit seiner Handschrift, gesteht ihr aber auch ein Mass an Exklusivität zu, die wohl einem Typoskript, einer edierten Gedrucktheit, einem lesbaren Text abhanden käme.

„Ich schreibe mir selbst“ enthält in gewissem Sinne eine zweifache 1. Person Singular. Eine Doppelung und Singularität, so kann man sich vorstellen, die auf die eine oder andere Weise in bestimmten Textprozessen verloren geht, bestimmte Sichtweisen oder Lektüren eines Textes, vielleicht nicht zwangsläufig entstellen, aber doch homogenisieren, um nicht zu sagen: Aspekte ausblenden, um einer rascheren Verarbeitbarkeit willen.

Während das 18. und 19. Jahrhundert aber durchaus und durchaus noch als Brief- und damit Handschriftenkultur bezeichnet werden kann, so treten etwas später, bedingt durch technische Neuerungen und resultierende Mentalitätswechsel und Zäsuren (2) Verschiebungen ein, die generell das Schreiben veränderten, handschriftliches Schreiben mehr und mehr privatisierten, sodass heute vielleicht bemerkt werden kann, dass diese Kulturtechnik schon im Aussterben begriffen ist, eine bestimmte mediale Zwischenstufe eines Erkenntnisvorgangs beim Verfassen von Texten also systematisch und breitenwirksam übersprungen wird.

„Am Nullpunkt des Texts“, so der Titel dieses kleinen Versuchs, mag vielleicht ein wenig an einen Text von Roland Barthes erinnern (3). Auch das kommt nicht von ungefähr, beschäftigte dieser sich doch auch prominenterweise mit dem Schreiben und machte in den 60ern mit anderen Theoretikern einen Begriff der Schreibweise (‚écriture‘) stark, der zu folgenschweren Unterscheidungen und Analysen anstiften sollte. Dort spricht Barthes allerdings von nur 3 Dimensionen des Schreibens deren 3., die ‚écriture‘ und deren Geschichte noch zu entwerfen und beschreiben war. Etwa 50 Jahre nach erstmaliger Publikation des Textes kann man und mit diesem Abstand und der Perspektive auf erst jüngst stattgefundene Ereignisse, vielleicht noch eine 4. Dimension charakterisieren (‚scripturire‘ (4)), die im Akt des Schreibens, Teil des Schreibens ist, und gemeinhin immer mitgenannt wurde, nun aber, durch ihre fortschreitende Abwesenheit mehr und mehr ‚etwas‘ aus diesem komplexen Vorgang herausbrechen lässt.

Der Autor dieser Schrift gibt selbst zu, dass ihm das handschriftliche Verfassen eines Textes, die Produktion einer Vorstufe, eines präliterarischen Gebildes also, selbst immer mehr abhanden kommt und dieses von anderen Verfahren abgelöst wird. Darum dieser Versuch, eine Studie oder Selbststudie mit dem Ziel, die Bedeutung eigener Handschriftlichkeit für den Text zu entdecken und diese mit diversen Theorien abzugleichen.

Dem Handschriftenversuch ‚Die Ichschrift‘ geht also hiermit ein Essay (als Interview, oder vice versa) voraus, das allerdings erst im Nachhinein, gewissermassen nach Herstellung der Materialbasis konzipiert wurde. Allfällige Antworten und allmählich auftauchende Fragestellungen, so hoffe ich, ergeben sich im Laufe dieses kleinen Diskurses, der übrigens auch zuerst in Handschrift entstand. Doch zu den Rahmenbedingungen …

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(1) vgl. das Ichschriftelement „Der Nullpunkt von Text“

(2) vgl. auch Kittler, Aufschreibesysteme

(3) Roland Barthes, „Am Nullpunkt der Literatur“. Erschien auf frz. 1959. Hier, auf dt. Frankfurt 1982

(4) Diese Unterscheidung in Roland Barthes, Vorbereitung des Romans, Frankfurt 2005