Dranmor Anagramme

Roman, marod, Darm, Mord, Rom (Roma), Maro (?), Rand, Nom, Arm, Norm, Manor, man, Orna (ment), Rad, Ram, Mard (er), Amor, Ramon (a), dran, Dorn, Nora, Oma, Roda (Roda), Arno, Maron, (…)

Dranmor V,1c

(So)

Und das Gefühl vor den tausend zu bewältigenden Metern eines ungeübten Schwimmers. Der Bauchdruck. Die dreissig Minuten im Wasser, das folgende Ziehen der Bahnen, das Zählen, das Fixieren der Stadionuhr, das Chlor in der Nase, das über den Rachen in den Gaumenbereich fliessen wird, die Unregelmässigkeit der Atmung. Die Taktung und Enttaktung. Ein Aufgebenwollen nach Zweidritteln der Strecke – das schon vorher wissen, dieses bekannte Gefühl, das schon lange da ist, bevor das Becken in Sichtweite ist, bevor man ins Wasser springt.

Dieses, während ich die Badewanne fülle, heisses Wasser, etwas bräunlich, die Rohre unvermindert rostig, geräuschvoll ächzend und pumpend, und zwei weisse Blätter auf dem Küchentisch, die seit Tagen gefüllt werden wollen (nur ein Entwurf, nur für Entwürfe), ganz sicher nach diesem Bad. Das Bad also ein Duschen vor dem Schreiben mit diesem seltsamen Gefühl. Und die Übermüdung.

Der Freund der Schwangeren, der Schwängerer wie ich ihn nenne, soviel wurde klar in diesem hellhörigen Haus, ist wieder ausgezogen. Nach nur zwei Tagen. Nach nur eineinhalb Nächten – meine Prophezeiung wurde bei weitem übertroffen: die veranschlagte Zeit ihrer Zweisamkeit stark unterboten. Er konnte nämlich sprechen. In der tiefen Nacht wurde sein Schweigen geläutert, platzte er, hielt er es nicht mehr aus, vermute ich: Was?

Die Begründung, unüberhörbar, das So: So habe er es sich nicht vorgestellt, wortwörtlich – und mein zaghaftes Klopfen und Bitten, fast ein Flüstern, das aber vor ihrer Tür überhört wird. So wäre es nicht erträglich. So könnte man doch nicht leben. Die Schwangere sah das nicht so. Das Schweigen und Schreien, Geben und Nehmen – ich hatte die Segel gestrichen und mich wieder zurückgezogen, nach unten, um mich weiter im Bett zu wälzen und darin Halt zu suchen – in Wellen: Ebbe und Flut der Erklärungen, der Vorwürfe und des Schweigens. Beinahe war ich eingeschlafen, heute nacht, dann knallte eine Türe, dann knarrte beherzt das Treppenhaus, die alte Holztreppe, die Stufen eine letzte Tonleiter bei seinem Abstieg, hinunter, noch eine Tür knallte. Dann Ruhe. Ein zartes Weinen einen Stock darüber. Wie es weitergeht? So nicht. Ob ich meine Hilfe anbiete? Kann ich helfen? Ein komischer Gedanke.

Doch viel dringlicher: Nach dieser Nacht mit ihren vier weniger dichten Stunden war wieder etwas da. Das Kommen und Gehen in diesem Haus. Und seinem Haus im Haus – dem Treppenhaus. Vielleicht wurde es von mir nicht rechtzeitig bemerkt. Vielleicht wucherte es auch schon seit Tagen oder Wochen. Ganz sicher beschloss es, sich heute bemerkbar zu machen. Wieder da zu sein. So.

Ich muss mich nicht verantwortlich fühlen, rede ich mir ein. Ich hatte beizeiten die Verantwortung abgegeben und das war gut. Das war ein kleines Glück. Und etwas passierte: etwas wurde von anderen übertüncht, wozu ich nicht Zeit gefunden hatte oder wovor ich mich scheute. Oder aus anderen Gründen. Aber nun war es wieder da. Denn ich öffne die Türe zum Treppenhaus, ob die Luft rein sei, während das Bad viel zu heiss eingelassen wird, und die Blätter auf dem Küchentisch rascheln, von einem kleinen Wind bewegt, der durch einen Fensterrahmen zieht, und es ist wieder da. Seine dunklen Adern sind zu sehen. Und seine schwarzen Flecken. Und das poröse Mauerwerk, an dem es sich entlangschleicht, mit dem es sich verbindet.

Fünf Sekunden Ratlosigkeit. Ich trete vor die Türe in das Treppenhaus und vermute, den Meterstab nehme ich nicht zu Hilfe, ein rasantes Wachstum. Der Pilz ist wenig unterhalb seiner angestammten Stelle wieder ausgetreten und arbeitet sich, auf den ersten Blick, in alle Richtungen. Ich mache Licht und beginne zu tasten. Er ist feucht, geruchlos und etwas lehmig – scheint unbeteiligt und harmlos, als habe er es nicht auf mich abgesehen. Aber wenn es so wäre? Ein Anruf im Laufe des Tages bei der Verwaltung oder vielleicht nur eine kleine Notiz durch den Türspalt der neuen Hauswarte zu schieben – es würde sich richten. Man würde das schon wieder in den Griff bekommen.

Dann ist das Bad wieder zu kalt und heisses, braunes Wasser nachzuschiessen. Ein Bein nach dem anderen in die Wanne zu stellen. Der Körper bereitet sich vor. Und die Lunge und der Puls. Ich tauche ein und unter und alles ist warm. Der schräge Blick von unten nach aussen trifft eine Fischerhütte und einen prahlerischen Strand. Und das Rauschen der See. Und eine Fischerhütte. Und eine leuchtende Düne. Und der Wellengesang. Was soll das? Und eine vergangene Jugendluft. Und ich ziehe und ziehe gleichförmig eine Bahn um die andere. Und.

Ich verschlucke mich und huste. Die Häute an den Fingerkuppen sind aufgeschwemmt und wulstig. Und der Dampf an Kacheln und Fenster kondensiert. Genug. Hinaus. Das muffelnde Handtuch. Der Bademantel. In die Küche zu den raschelnden Blätter. Sie haben sich gefüllt, füllen sich immer noch – man kann geradezu ihre Beschriftung verfolgen. Alles nach Vorschrift, dem Diktat des raunenden Winds. Etwas giesst sich über sie aus. Lässt die Buchstaben einweichen, dann verschwimmen. Ihre Atmung wird flacher und viele sind bereit aufzugeben. Nur ein paar noch lesbare Wörter erreichen den Rand. Sie müssen abgeschrieben, transkribiert und getippt werden, vielleicht sollte ich das sofort tun:

Roman,

der Pilz ist wieder da. Der Schwängerer weg. Und ich fürchte, Dranmor hat damit zu tun. Ich bräuchte ein paar Ratschläge. Ruf mich doch bitte zuhause an. Ich werde mich gleich bei der Arbeit abmelden.

Und ich drücke auf send.

Dranmor V,1b

(Das Abenteuer der Langeweile)

Diese Geschäftigkeit. Diese Werktagabendtätigkeit. Das junge Paar. Das Räumen und Entfalten der eingezogenen Schwangeren und ihres mitgezogenen Freundes. Oder ist es ihr Mann? Oder nur ein Mitbewohner? Sie entfaltet sich und räumt. Er bleibt, wo er ist. Ich höre ein Hinundherschleifen, ein Nageln und Hämmern, ein Fallenlassen, ein Aufstellen über mir in der kleinen Zweiraumwohnung. Diese Tätigkeiten. Diese Aktivität in ihrem Zustand. Ihr Freund ist ihr Gegenteil. In einem Gegenzustand. Tue nichts, sagt sie. Packe nicht an, schreit sie. Sei nicht da, wenn man ihn brauche, keift sie. Man kann so etwas durch die Decke hören. Jedes einzelne Wort. Zusammen bilden sie einen klebrigen Film an den Regalen. Und von ihm: Jedes Nichtwort. Man kann förmlich sein Schweigen hören. Seine Verweigerung von Aussagen zu ihren Vorwürfen: dass er ein Nichtsnutz sei und ein Langeweiler. Dass er Langeweile habe und letztendlich sei. Er solle nur warten … Das geht nicht lange gut. Sie habe recht, er einmal. Ihm sei langweilig, und: es gäbe nichts, was ihn interessiere. Er sei aber nicht unglücklich.

Interesseloses Wohlgefallen? Das Leben in diesem Zustand? Was für ein Luxus! Was für ein kräftiger, unmöglicher Umstand! Die Dingwelt kann nur noch gefallen. Ich ertappe meinen schwelenden Neid auf ihn. Wir – die von Ding zu Ding Gehetzten, Immerinteressierten, er der Gelangweilte, in seiner Langeweile Ortlose, der Freieste unter den Sofasitzern. Zum eifersüchtig werden: sein Warten – die untätigste Tätigkeit überhaupt. Die Richtung der Energie auf das Nichts. Ich höre wieder etwas Streit. Ihre Vorwürfe und sein Schweigen. Ein spannender Dialog: sie mit einer Mauer. Wälze mich, kann nicht einschlafen.

Er fände im Grunde alles langweilig. Er fände es hier langweilig. Dieses Quartier. Und sie sei langweilig geworden. Das Hier sei der Ort der Langweile, wenn man warte, ergänze ich, während ich aufstehe und nach dem alten Besen suche. Das Nichtstun und vor allem das Nichtszutunhaben sei ein ausserordentlich unerträglicher Zustand, füge ich hinzu, als ich den Besen finde, zurück in das Schlafzimmer gehe und dreimal nachdrücklich an die Decke stosse. Sein Schweigen verschiebt sich vom Unbewussten ins Bewusste. Sie macht es ihm nach, als ich noch einmal gegen die Decke poche, um dies klarzustellen.

Ein zerbrochener Dialog. Ruhe. Stille unter meiner Decke, auf ihrem Boden. Es schweigt. Das Haus liegt in einem abenteuerlichen Schweigen, wenn ich den Besen wieder zurück in den Schrank stelle. Es schweigt sich ausserordentlich laut, eine längere Weile. Meine Ruhe ist dahin, bis sich wieder ein einseitiges Flüstern unter die Decke legt. Bis etwas wieder langsam anschwillt. Bis wieder ein Dialog entsteht, der ein Monolog mit einer Mauer ist. Dann ein Satz: Er fände es nun einmal überall langweilig, vor allem aber hier und mit ihr.

Dann sagt er wieder nichts, aber sie. Dann ein Raunen und das hörbare Verharren auf einem Sofa. Die Nachtruhe ist dahin.

Das Abenteuer ist als Effekt der Langeweile und des Wartens anzusehen. Es ist eine logische Konsequenz. Die Suche. Die Queste. Ein Argonautensein – die Angst vor einem längeren Hiersein ohne Ort. Eine Folge einer zu grossen Konzentration auf die Leere. Dort steht noch ein Weinglas und dort eine Flasche. Ich schenke ein, ziehe mir eine Jacke über und gehe hinaus auf die Treppe, ohne Licht zu machen. Steige einen Stock höher, lausche, einseitiges Flüstern, nachdrücklich. Zischen. Steige weiter, eine Etage höher, hinauf unters Dach. Es sind noch Zigaretten da, und das Buch: kein Abenteuerroman – Langeweile pur. Wo war die Stelle, wo er es selbst zugibt? Auf Seite 12 das Gedicht mit dem Titel „Spleen“. Die Welt ist groß – ich weiß es zur Genüge, / Ich habe sie durchschritten und durchschwommen; / Die Welt ist klein – ich bin zurückgekommen / Und lache meiner Argonautenzüge. / Vergebens griff ich nach dem goldnen Vließ, / Mir hat bis jetzt kein Lorbeer grünen wollen, / Und kindisch schien es mir zu grollen, / Als auch die Liebe mich verließ. /. Und das Warten. Die Tätigkeit der Untätigkeit. Die untätigste Tätigkeit.

Wie lange noch? Und der Raum zwischen dem Warten und der Langeweile – nur ein kleiner. Und danach: Schwefel. Ein Funke spritzt mir vom Streichholz auf die Handfläche. Ich unterdrücke einen Schrei. Danach: eine kleine Explosion. Eine kurze Verdichtung des Mutes. Dann: Konsequenz. Eine Handlung. So gross ist die Welt, so langweilig überall.

Sie brennt. Sie muss brennen, immer wieder und an allen Ecken und Enden. Und wieder an anderen Stellen. Dann vielleicht einmal ein paar Sekunden Nichts. Dann wieder brennen.

Ich klappe das Buch geräuschvoll zu, drücke die Zigarette aus, bis nichts mehr glimmt. Lösche das Licht und steige wieder hinunter. Im zweiten Stock ist etwas zusammengebrochen. Nicht einmal ein gedämpfter Fluss rauscht. Dort nun gemeinsames Schweigen. Das Warten, bis etwas passiert. Ich gebe den Zweien keinen weiteren Monat. Jemand wird gehen. Jemand wird bleiben. Das Ende des Wartens. Der Anfang.

Am nächsten Morgen erinnere ich mich an einen Traum. Es waren aber nur Bilder unmöglicher Zustände. Ein kurzer Film: Alles ging sehr schnell: die Orte, die Personen sind nicht mehr erinnerbar. Sie waren reine Zeit. Es könnte überall gewesen sein. Jetzt ist es Samstag. Das ist ein Warten auf den Sonntag. Was könnte man tun? Im Kühlschrank ist noch kalter Fisch.

Dranmor V,1a

(Wo man sich aufhängt – eine andere Frage)

Tucholskys Heimatbegriff. Wie abzubilden? Ein seltsamer Beruf ist das, Schubladen zu finden und zu erfinden, oder diese für Gedanken anderer zu zimmern. Eine schöne, gut geölte Schublade unter einer anderen Schublade.  Über einer anderen Schublade. Griffig. Bündig. Nicht zu gross. Nicht zu klein. Und dann auch noch wissen wo, wo die eine oder andere. Wohin damit? – es ist doch kein Platz, kein Raum da. Es ist mir aber recht: die Dinge müssen an ihren Ort. Alle Dinge streben ihrem Ort zu. Diese Orte zu finden oder zu bauen: einen Ort zu bestimmen für diese Dissertation. Eigentlich: eine Ortsbestimmung vornehmen. Würde sie noch gefunden werden, würde ihr Ort falsch bestimmt werden? Würde sie bei falscher Bestimmung sich unzufrieden zeigen und ihren Ort selbst suchen und finden?

Protestieren. Gegen ihre Schublade, ihren Sargdeckel pochen und hinaus wollen. Ganz woanders hin, vielleicht?

Vielleicht neben Karl Kraus. Das hätte sie gerne. Das wäre ihr lieb, das kann ich mir gut vorstellen. Aber sie ist in guten, in sicheren, in zuverlässigen Händen. Dort würde sie nicht zur Ruhe kommen. Kraus würde sich einen anderen Ort suchen. Das Gefüge würde ausser Rand und Band geraten. Sie wird hier gut überwacht und man wird sich genaueste Gedanken über sie machen. Tucholskys Heimatbegriff bleibt vorerst dort, wohin ich ihn gelegt, wohin ich ihn gedacht habe: unter Tucholskys Begriff des Anderen und über die Rolle seiner Pseudonyme.

Wenn Heimat dort ist, wo man sich aufhängt, aber Heimat auch immer anderswo ist und Heimat immer das Andere ist – was ist Heimat? Und: Ist Suizid überhaupt möglich? Eine andere Frage: Wie nur ist dieser angeschwollene Bücherberg zu bewältigen, wenn jedes einzelne doch so sehr gestreichelt werden möchte? Eine andere Frage: Warum nur sind die Kollegen so nett, so reserviert nett? Eine andere Frage: Wird denn hier nicht geheizt? Ich friere. Maria friert. Ich gebe ihr etwas lauwarmes Wasser. Holstein-Gottorf friert. Ich nicke ihm ermutigend zu. Und rätsle, wer denn nur Recht habe: Tucholsky oder ich. Am Ende gar Dranmor – hat er eine Position? Eine andere Frage: Woher Konzentration nehmen? Wie konzentrieren, zum Beispiel auf diese Zeitung. Auf dieses Blättchen und seinen überdimensionierten Panoramateil? So ein Ausblick auf die Berge, die auch von diesem Fenster aus zu erahnen sind. Mit einem Blick, der nicht von aufdringlichen Spatzen, die mit ihren verkrätzten Schnäbeln ans Fenster klopfen, getrübt wird. Die sich nur aufwärmen wollen – sie hat der Februar überrascht.

Der Panoramateil und sein Zentrum: ein Comic. Vier Sekunden bis ich den Witz verstehe. Vier Sekunden sind eine gute Zeit. Dann Erleichterung. Dann vielleicht ein Lächeln. Dann das Kästchen mit den Agenturmeldungen. Eine Suchmeldung. Ein Vermisster und seine Beschreibung. Ein Heimatsucher? Oder Heimatfinder? Wo liegen da die Übergänge vom Suchen zum Finden? Und das Kurzinterview daneben: Die Soziologin und die Senegalesin. Es gäbe keine schwarzen Schweizerinnen. So etwas gäbe es nicht. Sie heisse Ghala. Schwarze Schweizerinnen gebe es nicht, so Ghala, so die Schweizerinnen und Schweizer, die es Ghala spüren liessen, dass es so etwas nicht gäbe. Aber Ghala sei ein wirklich schöner Name. Sage man ihr immer. Ob sie sich hier wohlfühle? Ob sie sich vorstellen könne, hier zu leben, frage man sie öfter. Was tue sie denn gerade?

So das Panorama. so die Unentschiedenheit, ob nun Heimat da sei, wo man sich aufhänge oder im Gegenteil: immer woanders. Gerade im Februar ist die Heimat woanders, werden Schubladen sperrig, und jene aus Holz quietschen und schliessen nicht mehr richtig, oder lassen sich gar nicht erst öffnen. Und die Bücher: werden mehr und mehr, wachsen zu Stapeln und drängen. Und dann ist es Fünf und man geht nach Hause. Und ich gehe auch nach Hause und grüsse nett, aber reserviert zurück. Dann pfeift draussen ein eisiger Wind und die Drei kommt acht Minuten zu spät. Und fährt dahin, wo ich nicht bin. Dort bin ich dann, schliesse die Türe und beobachte die Räume. Und lese die Post, schaue auch in den Kühlschrank, ob nicht etwas da sei.

Über der Wohnung ist etwas im Gange. Dort wird geschoben und gerückt. Dort wird geräumt. Eine andere Frage: Zieht jemand ein?

Dranmor IV,1g

(Das ginge doch)

Heute sei ein guter Tag. Und: Das sei doch etwas. Das wäre doch gar nicht so schlecht, was ich geschickt hätte. Als Entwurf betrachtet, selbstverständlich. Für den Anfang. Da merke man ja richtig, da habe sich einer Gedanken gemacht, so Roman in der Antwort. Und was die Kritik anginge, die Selbstkritik, die die Kritik ja vorwegnehme, die immer auch ein Bestandteil der Kritik wäre, wenn nicht sogar der wichtigste: Die könne gar nicht genug, gar nicht zu eng oder weitläufig, gar nicht zu allgemein oder präzise sein. Sie müsse tatsächlich eine fast Medizinische sein.

Ich habe das schön geschildert, man müsse überall genau hinschauen. Alles abklopfen, sozusagen. Das sei ja über weite Strecken geschehen, am ganzen Textkörper entlang, der freilich nur als Entwurf oder Idee behandelt werden sollte, so Roman. Auch er habe im Anhang eine Kostprobe seiner Idee bereitgestellt: Ein Dialog, nicht überzubewerten und erst im Anfangsstadium, nur, um es einmal zu nennen – aber zurück zu Loipenblut. Es sei im Kern der eigentlich bessere Entwurf. Nicht unbedingt als Idee, aber als Entwurf. Sprachlich interessant, so gleichgültig, der Ansatz, finde Roman, dass eigentlich ein kleines Lob im Rahmen einer gehörigen Kritik, vor allem als Komplementär durchaus nicht schaden könne: Dass er es natürlich als Anspielung auf ein Dranmorleben, gar ein Dranmorschreiben lesen würde, sei mir hoffentlich klar, nachdem ich wohl immer noch damit beschäftigt sei, Material für den Wettbewerb zu sammeln. Dass er auch die Verarbeitung des Menschenfressermotivs nach Hans Staden, das sei ja offensichtlich, nicht übersehen habe. Diese Brasilienerfahrung, man sollte sie aber noch etwas mehr betonen. Aber die Figur des Menschen im Kessel – wo hat er das denn gelesen? – jenes erzählende Ich im feuerheissen Wasser, der Kampf um das Selbst – wo hat er das denn gelesen? –, ja, und das Fass und das ganze Wasser, Fruchtwasser, Feuerwasser, – wo hat er das denn gelesen? – sehe er schon, so Roman. Ein wirklich interessanter Ansatz, nur: Eben nur ein Ansatz, oder besser gesagt: Entwurf. Man müsse da schon etwas mehr hineinlegen. Die Länge. Und der viele Schnee. Müsse es nicht Sand oder Urwald sein? Der Verlust. Das Verschwinden der Leute. Die Entgrenzungen. Eine Gegengeburt: Wie viele Zeichen es denn seien? Wieviele Tropfen? Wer, was ich denn denke, der Disla sei. Ein Gott? Ein Ich? Dranmor? Oder nur ein schlechter Witz? Aber: Das werde schon, das werde schon. Ich hätte ja noch etwas Zeit.

Ob ich bald wieder zur Arbeit gehe? Man vermisse mich doch sicherlich. Ob es in meiner Wohnung auch so kalt sei? Ob ich einen angenehmen Jahreswechsel gehabt habe? Man könne sich ja mal wieder treffen, wie er denke, und solche Dinge bei einem Glas Wein … Telefonisch sei es bei ihm zur Zeit ganz schlecht. Er würde mir ja gerne seine Nummer geben. Aber: Etwas sei nicht in Ordnung. Etwas sei kaputt. Ja, wie seltsam, sowohl zu Hause, als auch auf der Arbeit. Er lasse das wieder richten und bei Gelegenheit erfahre ich dann auch die Nummer. Aber postalisch. Aber per E-Mail sei es ja auch kein Problem. Nun, man halte sich auf dem Laufenden. Ein mögliches Treffen von uns könne vielleicht schon nächste oder übernächste Woche in Aussicht gestellt werden. Mein Gott, es sei ja schon bald Februar, wie die Zeit vergehe. Er wünsche mir alles Gute. Und so weiter.

Das ist etwas. Da ist ein Daumen, der sich langsam beruhigt. Da ist eine Wohnung, die sich heizt, die sich mit der Hitze des Daumens, der ganzen Hand langsam füllt. Da ist der nur noch kleine Schmerz dieser Schreibhand, aus dem seltsame Dinge strömen. Der sich entwickelt und entbindet oder fallen lässt. Der sich entspannt. Da ist ein Wochenanfang in Sicht. Ich werde wieder zur Arbeit gehen. Wieder arbeiten müssen, um weiter dort arbeiten zu können. Schnelle Woche des Broterwerbs, es muss zu schaffen sein. Uneigentlich Arbeitenkönnen: an dem was als Arbeit bezeichnet wurde, was Roman vielleicht mit Feuer meinte. Ein unglücklicher Ausdruck: Das Selbst. Zudem ist ein Blick in diesen unglücklichen Band zu werfen. Vielleicht schon am kommenden Mittwoch. Ein paar Strophen lesen: Strophen lesen. Ich lege einen Fetzen Papier auf die entsprechende Seite. Einhundertsechs. Und vielleicht verstehen, was mit trauernden Wolken über den Wäldern gemeint ist. Was mit dem grauen Nebel auf dem See. Der grünen Halde. Man konnte ja alles missverstehen. Man konnte ja alles verstehen, wie man nur wollte. Sich stur stellen und sagen: so sei es aber. Und irgendwann ist es dann so. Irgendwann, wenn nur hartnäckig genug daran geglaubt würde. Eine Loipe ist dann eine Spur. Doppelspur. Ein Weg. Ein Zeichen einer Fahrt. Eine Andeutung einer Odyssee. Eines Lebens. Eines Verschwindens. Vielleicht eines Gefressenwordenseins. Eine Geschichte um ein paar Tropfen Blut.

Die Sache ist in Fahrt. Läuft. Man müsste sich darüber Gedanken machen, was passieren wird. Jetzt, hier, nach diesem Entwurf. Das liegt in meiner Hand. Man müsste einen Fall konstruieren. Einen Fall, der gelöst werden möchte. Zwei Spuren würde es geben. Und: Es ist noch etwas Zeit.