Dranmor IX,4b

(Ein kleines Pilzgericht)

Das sei aber sehr gut. Das rieche aber ausgezeichnet und schmecke hervorragend, lobe ich das Eichhörnchen, das mir eine Stärkung reichte. Und: dass ich nicht gedacht hätte, man könne aus dem wenigen, was sich in einem Wald so zusammentragen liesse, eine so schmackhafte Speise zubereiten. Überhaupt: wo doch kein Fleisch mehr verwendet würde, ja, ich verstünde nun, dass man sich nicht gegenseitig kannibalisieren solle.

Das Eichhörnchen nickt freundlich, aber etwas irritiert zu diesem unerwarteten Lob. Es sei auch etwas besonderes, das bekäme man nicht jeden Tag, schon gar nicht in dieser Jahreszeit. Etwas ganz spezielles. Ein Schlauchpilz. Ein besonderer Trüffel aus den tiefen Wäldern des Kantons, und: dass es reichlich Mühe gehabt habe, diesen zu besorgen, aber es sei ja auch ein besonderer Tag.

Ich möchte mit meinem Lob fortfahren und auch den anderen für diese wohlige Atmosphäre danken, stocke aber, als ein Baumschatten um mich zu kreisen beginnt. Mir fällt mein Kopf in die Hände. Ob es mir nicht gut gehe, fragt mich Sabina, und diese Frage, auch die Züge, die sich langsam aus ihrem Spatzengesicht zu schälen beginnen, rufen verstaubte Bilder hervor, ehemalige Personen, die mich zu berühren versuchen. Sabina rückt näher und will meinen rotierenden Augäpfeln folgen. Geweitet. Die Pupillen. Ein gutes Zeichen, zu den anderen, als ich ihre Hand greifen möchte, die sich aber rasch entzieht.

Mir bleibt eine Feder zwischen Zeige- und Mittelfinger. Ich puste sie in den Teich und hänge ihrem oberflächlichen Treiben eine Weile nach.

Dann wären wir also soweit, zieht Maximilian die Aufmerksamkeit auf sich, während ich die Schnürsenkel meiner beiden Turnschuhe löse, sie jeweils an beiden Enden miteinander verknote und sie an meinen Händen aufziehe. Himmel und Hölle. So heisse das doch, lache ich. Und: wer denn als erster möchte. Dann registriere ich die armlose Gesellschaft und ziehe mein Angebot zurück.

Eine wirklich wichtige Frage, jetzt, und ob ich mich kurz etwas konzentrieren könne. Wir seien bei Dranmor stehen geblieben, das heisse, ich hätte begonnen von ihm zu sprechen, immer wieder. Andauernd, fällt ihm Sabina ins Wort. Und dass man endlich wissen wolle, wissen müsse, wer oder was das sei, so könne man nicht arbeiten, so sei nie Abstand zu gewinnen. Auch: dass so ein Kommunikationsverhalten nicht gut sei und so ein Geheimnis nicht zu unserer Runde passe.

Ich versuche dieser Frage auszuweichen und lade alle noch einmal herzlich zu meinem Fadenspiel ein. Der Fisch bleibt hartnäckig. Und auch Busch scheint zu keiner Ablenkung mehr fähig. Humorloser Weiher.

Wer oder was das sei? Ich habe keine Ahnung. Argwöhnische Blicke. Ich kenne diese Person nicht. Sie liege ja auch in der Vergangenheit, vielleicht stehe sie auch für die Vergangenheit. Einer bestimmten Art von Vergangenheit. Ich könne das nicht so genau sagen.

Er liest sie, zischt Sabina ärgerlich. Und er schreibe darüber. Ich dementiere. Ja, es hat etwas mit Lesen zu tun, und mit Schreiben, aber ich hätte ja schon geschworen, niemals mehr einen Stift in die Hand zu nehmen. Er lügt, unterbricht mich das Eichhörnchen. Ob ich mehr von dem Trüffel benötige? Meine Unglaubwürdigkeit lähmt mir die Beine bis hinauf in die Schultern. Der Kiefer dagegen malmt mit doppeltem Aufwand. Er beschäftigt sich immer noch damit, auch wenn er es nicht zugeben wolle, denunziert mich Sabina. Ich wisse nichts, möchte ich antworten, bekomme aber eine weitere Ration Trüffel in den Mund geschoben. Iss, befiehlt mir Busch, und ich kaue und schlucke.

Schau in seinen Strümpfen nach. Das Eichhörnchen macht sich an mir zu schaffen und zieht mir mit seinen emsigen Händchen einen Strumpf aus. Das kann … , möchte ich unterbrechen, aber schon werden triumphierend drei kleine schmutzige Seiten in die Höhe gehalten.

Die Sprache, sagt Sabina. Und etwas von und mit der Sprache zu wollen. Vor allem mit dieser Sprache. Ich müsse mich davon lösen. Das wisse ich doch. Und auch davon, mit einem Flügel auf einen Fetzen der Gesammelten Dichtungen zeigend. Da dürfe nichts übrigbleiben. Ich versuche mich zu bewegen, mir gelingen aber nur ein paar verklebte Worte. Was ich denn noch zu verstecken versuchte? Und was das hier sei, im anderen Strumpf? Ein Andenken, etwa? Sie flattert auf Dranmors Frontispiz und beginnt an seinen Rändern zu zerren.  Eine kleine Sentimentalität? Auch Bilder seien verboten, das wisse ich doch auch. Ich möchte entgegnen, dass man sich immer noch einen kleinen Rest bewahren könne. Erst so merke man doch den Unterschied. Der Trüffel stimmt mich milde und ich spreche nur noch leise ins Gras.

Nicht das Waldleben, bitte, und auch nicht das Bild, möchte ich hinzufügen, werde dann aber zu schweigen aufgefordert.

Du würdest es nicht aufgeben, richtig? Dann beginnt sie den stolzen Blick Dranmors zu zerhacken. Du würdest es immer wieder hervorholen und vergleichen. Richtig? Das Eichhörnchen möchte sich an der Vernichtung beteiligen und beginnt eine letzte Seite zu zerfleddern. ABER WOVON SOLLE ICH SPRECHEN, nachdem ich etwas Kraft sammeln konnte, WENN DAS ALLES NICHT MEHR IST, NICHT EINMAL EINE UNVERSTÄNDLICHSTE ZEILE.

Ich wisse genau, wovon die Rede sei, und in welcher Sprache, versucht mich Maximilian zu beruhigen. Man könne nicht zu viele Dinge gleichzeitig zu lieben versuchen. Aber dass ich doch nicht lieben müsse, was ich nur zu verstehen versuche, entgegne ich. Der Satz geht im sich bereits auftürmenden Mondlicht verloren. Viele kleine Fetzen Papier treiben auf einem silbernen See. Ein kleiner Strom Fische hält es für Beute und schnappt vergeblich und ins Leere. Eine Alge fühlt sich in dem Weiher gut unterhalten.

Es sei gut jetzt, höre ich noch Sabina sagen. Und: es sei nun wirklich gut, den Fisch. Erstarrt richtet sich mein Blick erst auf die blanken Füsse, dann in die Ferne. Nach oben.

Dranmor IX,4a

(Aufstellungen)

Es sei ja schön gewesen, es sei aber noch so früh am Morgen, ob ich nicht vielleicht doch noch ein Stündchen in meinem feinen Schilfbett verbringen könne. Mein Einwand wird von allen kritisch aufgenommen. Selbst Sabina, die ich auf meiner Seite vermutet hätte, winkt mit ihren Flügeln ab. Ich werde mich doch wohl noch daran erinnern, was wir abgemacht hätten, und dass wir es tun müssten, sobald die ersten Sonnenstrahlen die Seerosen öffneten. Und wie wichtig das Ganze sei. Und dass man es schliesslich nur für mich tue.

Ich richte mich schwerfällig auf, versuche nach Aufforderung mit den anderen wiederum einen Kreis zu bilden, so gut es geht, der stumme Fisch will im Wasser bleiben und Busch in seiner Ecke. Das Eichhörnchen nimmt das Geschehen in die Hand. Du, sagt es, schaust nur zu. Es sei nun mein Vater. Busch gäbe die Mutter, der Fisch die Schwester, und Sabina, das sei nun ich. Sie erfinden eine Gesprächssituation. Es geht um Nüsse, Wasser, Gras und den Wind, der durch ein kleines Städtchen bläst. Ein Streit entfacht sich bald. Einer hat zuviel Nüsse bekommen, sagt ein Anderer. Eine Andere zuwenig Gras. Eine Dritte hält ihre Nase in den geruchsarmen Wind einer kleinen Stadt und fällt um. Mir rollen plötzlich ein paar Tränen die Wangen hinunter. Wer zuviel Nüsse bekam, und wer zuwenig von anderen Dingen. Man muss sich von allen Nüssen und Gräsern lösen, platzt es aus mir heraus. Ich erhalte Beifall und bitte den letzten Windhauch der kleinen Stadt um Verzeihung. Die Szene löst sich auf. Ich bin wieder ich, Sabina wieder Sabina und setzt sich auf meine Schulter. Tröstet mich. Lobt mich. Das sei ja sehr gut. Das sei doch ein erster Schritt. Damit könne man doch arbeiten. Sie sei stolz auf mich.

Eine Böe furcht den lieblichen Teich und bezeichnet den Fisch an der Reihe zu sein. Maximilian sei nun ich, Sabina sei Sie, das Eichhörnchen Roman und Busch nur Dekoration. Busch ist etwas enttäuscht über seine Rolle, wird aber auf ein nächstes Mal vertröstet, er werde noch angemessen besetzt werden.

Ich schweige. Ich beobachte. Ich sehe, wie ein Eichhörnchen mit einem Spatzen turtelt und will mir die Augen reiben. Es scheitert. Mir sind die Arme abhanden gekommen. Um mich herum: kühles Wasser, aber trübe, sodass ich nur Umrisse und Schemen erkennen kann. Ich möchte wieder weinen, aber Fische weinen nicht, erwiesenermassen, sondern lösen ihr Salz in anderer Umgebung. Schwimmen an den Ufern der Seen und Teiche auf und ab und hoffen, dass ein Tannenzapfen ins Wasser fällt, oder eine satte Raupe aus einem Baum. Dann hole ich tief Luft und verschlucke mich etwas, bitte das Tableau um eine kleine Unterbrechung.

Das sähe ja ein Blinder, so Sabina, ein Fisch und ein Spatz, das könne doch nicht gehen, ebenso wenig ein Fisch und ein Eichhörnchen, das passe doch nicht. Schon aus logistischen Gründen. Aber ein Spatz und ein Eichhörnchen, entgegne ich, das sei doch auch etwas widernatürlich.

Aber das meiste sei ja widernatürlich. Eigentlich sei ja alles widernatürlich, aber manches eben mehr als anderes.

Aber warum, frage ich Sabina, sind wir beide nun zusammen? Weil du kein Fisch mehr bist, sie, kein richtiger zumindest. Ich habe mich ja etwas verändert, die letzten Wochen, immerhin habe ich zu sprechen gelernt, und nun solle ich mich wieder setzen, wir seien noch nicht am Ende.

Busch beendet seine Pause in der Ecke und will sich einmischen. Seine Rolle, welche Rolle er denn nun zu spielen habe, fragt er. Das Eichhörnchen und Sabina diskutieren noch ein wenig, wer denn bei dieser Aufstellung die Regie übernähme. Sabina kann sich durchsetzen und beginnt mit der Verteilung: Das Eichhörnchen sei nun ich, der Fisch der Ort, an dem ich lebe, und der Busch der Ort, an dem ich leben wolle. Sofort entspinnen sich Dialoge zwischen Eichhörnchen, Fisch und Busch. Fisch und Busch preisen sich und ihre Vorzüge. Am Ende winkt das Eichhörnchen ab, zu Recht, wie ich meine, passe es doch weder in einen Teich noch unter einen kleinen, schmächtigen Busch. Ich gratuliere ihm zu seiner brillanten Analyse und Sabina für ihren hervorragenden Regieeinfall, traue mich aber nicht, ein paar Zweifel an den bis jetzt erarbeiteten Ergebnissen anzumelden.

Dranmor IX,3

(An einem Teich der Mitte)

Das Areal passiert. Weiter, wir seien noch nicht da. Graue Vögel, feindlich gesinnte, kreisen über den Müllbergen der Stadt. Festen im Dunst einer Jauchegrube, der Himmel bewölkt, keine Regenwolken, sondern milder Glanz der Kadaver, zerkleinertem Menschenabfall, auch grösserer bis grosser Ratten und anderer Nager, die sich in diesen Bergen zu Tode frassen.

Schneller durch subtropische Wärme. Und immer wieder die Mücken, Gegenwesen, die in Schwärmen operieren, die über uns Säulen bilden, die sich minütlich reproduzieren und sich wiederum verlieren. Ein einziges Stimmengewirr, kaum sinnlich Isolierbares, wie einen einzelnen Satz, ein langezogenes Wort vielleicht, das durch das Flirren vieler Flügel entsteht. Ein halbes: Fliiieee.

Sabina fühlt sich sichtlich unwohl und beschleunigt. Treibt an, indem sie hunderte Meter voranfliegt, dann wieder um die Hälfte zurück, um dort auf mich zu warten, auf dünner werdenden Wegen. Und sich dann wieder absetzt.

Man könne schon den Waldrand erkennen. Ich weiss, ich kenne den Könizbergwald. Vom Hörensagen. Der Wald, in dem niemand ist. Ein Massenmörderwald, der seinem Ruf noch nachhinkt. Dort willst du hin?

Es sei schön dort, du wirst sehen, und: dass dort niemand sei, den kein Unwesen treibe, sei freilich übertrieben, ja, lange überholt, so Sabina. Wir passieren die Waldgrenze, Luft lichtet sich, der Waldrand filtert lose Teile auseinander und behält die Brauchbaren für sich. Wir nehmen nicht diesen Weg, der auch beschildert zur Ertüchtigung einlädt, Tafeln mit Vorschlägen zu Leibesübungen, da läuft doch jemand, ganz ausser Puste, da werden Knie gebogen, Rümpfe gekreist und Kreisläufe auf Touren gebracht, als gäbe es ein Ausbrechen aus diesen. Nein! Querwaldein, bestimmt Sabina, und ich stolpere durchs Unterholz, immer weiter im Zickzackkurs, bis Zeit stillsteht und es die errötende Sonne nicht mehr durch die dichten Zweige auf Lichtungen und Trampelpfade schafft, und diese sich auflösen, das Dichtwerk.

Wir machen hier eine Pause, eine Weile, Stunden, Tage. Mir ist das recht.

Vielleicht könne man nicht von einem Einleben sprechen, auf eine Frage, einem Ausleben, vielleicht, nicht also von Dingen, die man sich zurecht macht und -legt, auf die eingegangen würde, sondern man ginge auf und in sie ein. Man lege sich in sie, nehme sie, wie sie seien, schmiege sich an sie, oder: so sei ein Bett, der Ort, an dem ich schlafe, auf Zweigen vielleicht, auf einjährigem Laub, neben einer ausgehobenen Baumwurzel, in einem Vorbau eines Waldarbeiterhäuschens, und nicht da, wo ein sogenanntes Bett stünde, lege ich mich hin. Vielleicht ging es auf unserem Marsch verloren: das Sogenannte. Ich kann mich hinlegen, woimmer ich will, und ich schlafe. Gut sogar. Ich esse Nüsse, manchmal Gemüse, das ich in einem am Waldrand angrenzenden Gewächshaus finde, und andere Dinge, deren Namen ich noch nicht kenne. Sabina hilft mir bei der Auswahl der bekömmlicheren Wurzeln und Gräser. Ich führe Listen darüber, ausführliche, liste Striche, bis das Papier knapp wird. Was soll ich sagen? Es geht.

Wir finden einen kleinen Teich, er liege genau im Herzen des Waldes. Nicht wir finden ihn, ich finde ihn. Sabina kannte ihn, wollte ihn mir aber zuerst nicht zeigen, erst dann, wenn sie sich ganz sicher fühlte. Das sei sie nun, ich bin aber etwas gekränkt. Nicht lange. Eine Weile. Wir rechnen zwei aufgehende Monde.

Der Teich ist ein guter Teich. Ein ewiger Teich und liegt ruhig, wie schon vor hunderten von Jahren besungen. Der besungene Teich und ein hübscher, schattiger Baum am Ufer. Ein äsendes Reh fehlt, fällt auf, und ein Rotwein tragendes Bächlein. Aber ein Liebespaar haben wir: unschuldig, jung, das sind wir. Und alles grünt und blüht. Und alles kaum auszuhalten vor Glück und Grün. Und Natur und ein Wachsen und Gedeihen, dass es eine Art hat, das bestätigen auch eine Echse und zwei Kröten, die ich nun flüchtig, aber regelmässig grüsse. Und Sabina, die aus einem Spatzenleben erzählt, nichts wichtiges, umwerfendes, also erzähle ich auch von mir. Sie denkt, sie entlocke mir das eine oder andere Geheimnis.

Heute sei ein besonderer Tag, heute sei möglicherweise, man kann nie sicher sein, der zwanzigste Mond und wir bekämen Besuch. Ich wasche meinen neuen, braunen Jogginganzug im Teich, ein wirklich nützliches Kleidungsstück, das ich einem Waldsportler entwendete, bei seiner kurzen Rast. Das war problemlos, denn ich bin ein unsichtbarer Waldmensch. Man kann mich nicht mehr sehen. Bin lautlos und unsichtbar und verströme nur noch den Geruch dieses Orts.

Heute käme die Gruppe zusammen. Wer das denn sei? Das werde ich schon noch erfahren, sagt Sabina. Und was sei der Zweck dieses Treffens? Das auch, so Sabina.

Wir sind glücklich, dass der Mond uns ein paar Strahlen lässt, denn heute dürfe ich kein nochsokleines Feuer machen. Das ängstige sie. Wir lagern an einer schilfigen Bucht am Teich und sind äusserst gespannt.

Bald sitzen wir zusammen, versuchen einen Kreis zu formen, sogut es geht. Sabina hält eine Ansprache und stellt mich vor, die anderen kennen sich schon, scheint es, sie wechseln vertraute Blicke. Am Ende wirft sie meinen Namen in die Runde und begrüsst auch die anderen persönlich. Zu meiner Rechten: ein nuschelndes Eichhörnchen. Ich habe seinen Namen nicht verstanden. Mir gegenüber ein Busch. Ich dürfe ihn Busch nennen, alle riefen ihn so. Zu meiner Linken im Teich: ein kleiner, bis dahin schweigsamer Fisch, der Maximilian heisse. Ich nicke ihm freundlich zu. In der Mitte strahlt Sabina und ruft zu Tisch.

Es gibt Würmer, Nüsse, Gräser, Rinde und Wasser. Wir beginnen mit dem Mahl.

Dranmor IX,2b

(Burning down the house)

Eine Hinterlassenschaft. Ein Riss und ein Stück Hosenstoff verkeilt sich am Aussengitter des Fensters. Eine Naht gibt nach. Das Knie windet sich. Hände graben Löcher in den lockeren Kies, scharren, öffnen den blickdichten Vorplatz ein wenig und legen feuchten Humus frei.

Mehr wird von den Nägeln nicht aufgenommen, also zeichnen sich Linien in die Oberfläche. Mustern. Mehr Scharren. Beeilung, ruft Sabina, das Sengen der Federn, sie fliegt auf eine Kastanie, kaum mehr zu sehen in deren Sommerpracht. Das Rufen der Artgenossen, aufgeregt, hier ist das Ende, nichts mehr zu holen.

Gleichmässiges Lodern, man kann förmlich das Züngeln der Flammen erfassen. Das Gleiten. Und das Knacken der Holzgitter zu den Parzellen.

Die gefrässigen Zungen haben wohl schon den Ölkeller erreicht. Schwerer, angenehmer, gleichmässig dunkler Rauch strömt aus Luken und Mauern der unteren Geschosse. Ein prächtiger, satter Geruch. Schrottplätze, Tankstellen, Abenteuerspielplätze, oder der eines auslaufenden Containerschiffes. Nur dunkel der Rauch und beklemmend der Pilzgesang, ein immer noch bittendes, flehendes Mantra hebt sich an zu einem Jahrhundert voller Schreie oder anderthalb und drängt, wie die eigene Masse an die Ränder dort unten, zum vermeintlichen Aussen.

Von Ast zu Ast und Baum zu Baum hüpft Sabina und sucht auch dort noch das Freie. Irritiert von sich bündelnden Massen nicht mehr versteckter, scheinbarer, nun aufgescheuchter Vögel, die ihre Matinee unterbrechen müssen und nun alle von einem Blitzfeuer sprechen. Darüber wird im Flug diskutiert, und bald im Südosten.

Mich hält es auf der Strasse, auch wenn ich die Arme ausbreite und sie langsam hebe und senke, die Strasse, die sich trotz früher Stunde allmählich belebt und mich hinter die Bäume schickt, amputierte Alleen, sicherer sei es dort unter den Laubdächern, die Fensterläden öffnen sich schon.

Das Haus. Das Haus. Es brennt. Haben Sie das schon gesehen? Und der Rauch, die dünne Säule, die schräge, nach oben zieht sie. Und: wie interessant, das kleine Wölkchen dort oben. Akkumuliert.

Auch der Raum vor dem Haus und ein paar Versuche ihn zu retten, und was noch zu retten ist: der Kies auf dem Vorplatz und ein Fahrrad und ein Sack mit Torf, der Werweisswem gehört.

Dann eine Tonleiter. Hitze zieht ein letztes Mal aus dem Keller nach oben, löst Stufen aus der Treppe. Das Glas: nicht mehr viel, nur weniges klirrt und platzt und ist kaum zu hören, dabei der Tumult der sich langsam vergrössernden Gruppe. Die Wagen. Die Lichter und Schläuche. Man wird dich erkennen. Sabina weiss etwas: dort drüben sei es sicherer.

Auch die direkte Masse der Leute ist ein Schutz und im Zentrum am grössten, aber bald geteilt durch die Autorität der Schläuche und Helden mit Helmen und dem vielen Wasser, das aus Hydranten schiessen sollte, wäre es nicht trockener als sonst, und heute nicht so früh. Es dauert, man kann das Dauern spüren.

Und: wie unbeteiligt ein Feuer brennen kann, und wie unbeteiligt ich und die Löschenden, die doch ihr bestes versuchen, als schon das Dach nicht mehr Dach sein will und der zweite Stock im ersten, und dann die Wände im ersten zu Recht ergrauen. Das Rauchwerk. Das Erinnern.

Ein Jahrmarkt, so etwas. Ein Fest, und das früh am Morgen. Am Tag des Herrn, denkt mancher, und: so viel Arbeit.

Das muss man besprechen. Da kommen Fragen auf. Da kommen auch Fragen von den Herren im Dienst.

Da ist ein Kopfschütteln. Ein So plötzlich und Der Gestank und Das Haus sei doch unbewohnt oder unbewohnbar oder beides. Ein grosses Rätsel, vielleicht ein elektrischer Defekt. Der Defekt macht die Runde.

Ob man etwas gesehen hätte. Dann: Ob er etwas gesehen hätte. Dann: Ob ich etwas gesehen hätte. Und: Ob mir etwas aufgefallen sei. Ob ich hier wohne, die Fragen an mich von nicht unfreundlichen Herren.

Ich weiss nicht, ich weiss nicht. Nein, ich sei eher zufällig hier, auf dem Weg zum Bäcker – der habe doch schon offen, frage ich zurück.

Einen schönen Vogel habe ich da, ob der denn zahm sei. Sehr ungewöhnlich einen zahmen Spatz zu haben, noch dazu einen, der auf der Schulter sässe, so brav, und nein: jetzt Grimassen schneide.

Ich hätte ihn gerettet, sage ich und meine es anders herum, ernte dafür einen schneidenden Blick von Sabina. Er bemerkt ihn und wandert mit dem seinem erst auf die Hände, dann Schuhe und verweilt auf der Hose, begutachtend, scheint es.

Es ist ein grosses Glück, dass in diesem Moment sich ein Teil des feurigen Gerüstes von der Aussenwand löst und einstürzt und Aufmerksamkeit fordert.

Wir sind wieder für uns in der gebannten Menge. Und: Wir müssen, wir müssen, Sabina, aber Wohin, zu Sabina, ich möchte nicht alleine im Freien schlafen, Sabina, jetzt wo da nichts mehr ist.

Aus der Strasse, dem Viertel in Richtung des Berges, entgegen den Strömen der Brandstiftersucher, der Gaffer und Sonntagsvergessenen, die Hände nun in den Hosentaschen, den Vogel geschultert, der, man bemerkt das, sich wohl verhält, als redete er auf mich ein.

Das könne schon sein, im Freien, aber nicht alleine, ich werde schon sehen, Sabina, und weiter Nun nimm diese günstige Bahn, wir treffen uns an der Endstation.

Dranmor IX,2a

(Sabina)

Der erste Satz, der mir entfährt, entfällt sofort, schon, als ich den Blick wieder abwende von der Schulter und auf den Parkweg richte. Kein Satz im üblichen Sinne, eine halbe Frage ohne Zeichen am Ende. Die Bemerkung, was eintrete ins Leben, wenn etwas austrete.

Etwas müsse diesen entstandenen Raum doch in Beschlag nehmen. Vielleicht sprach ich aber auch von einer Kelle, die sich in einen Topf siedendes Wasser taucht und daraus entnimmt und der Rest sich wieder gleichmässig verteilt, einebnet, eine bald starre Oberfläche bildet, als sei nichts gewesen.

Ich müsse nicht weiter sprechen. Nicht darüber, sie wisse, was ich meine. Sabina versucht das Gleichgewicht auf meiner Schulter zu halten. Ihre kleinen Krallen bohren sich in den Lederaufsatz der Jacke und mit den Flügeln balanciert sie den ungeläufigen Rhythmus meines Gangs aus. Flach atmend. Sie werde sich um mich kümmern, ein wenig, bis die Dinge wieder im Lot seien.

Ob sie denn niemand vermisse. Ob sie unser Verhältnis nicht selbst etwas merkwürdig finde, frage ich. Aber die Liebe sei doch das Verhältnisloseste, was es gäbe, ähnlich der Sprache, so sähe sie das: Darum verstünden wir uns doch so gut. Darum dürfe ich sie auch ruhig Freundin nennen. Das Getuschel, das natürlich folgen würde, sei ihr einerlei. Sie hoffe, mir ginge es ebenso.

Es ist, wie sie vermutet hatte. Die Tankstelle an der Seftigenstrasse öffnet tatsächlich auch an Sonntagen. Ein Display mit Flaschen Fahrzeugöl aller Marken und Grössen vor der Eingangstüre. Ein sehr rundlicher Mann mit Glatze kaut an einem Schokoladenriegel. Kanister? Dort unten in der hinteren Reihe. Wo denn mein Wagen liegengeblieben sei? Ich nehme zwei dieser Behälter und fülle sie an einer Zapfsäule mit bleifreiem Benzin. Bei der Frage nach Streichhölzern zuckt der dicke Mann etwas zusammen, entspannt sich aber wieder, als ich noch eine Packung Parisienne hinzuordere.

Dreissig Franken koste das zusammen. Ich krame, finde einen letzten grünen Schein in der Jackentasche. Sophie Taeuber-Arp, etwas zerknittert und gerastert, eine Art Melone tief in die Stirn geschoben, ihr fester Blick: Und vergiss die Briefe nicht, hörst du? Du musst vorher die Briefe finden und sie dort rausholen. Oder willst du von nun an im Freien schlafen?

Sabina ist etwas erschrocken und versucht mir am Hals in den Kragen zu steigen. Die Briefe, tönt es noch einmal, bevor der Schein in der Kasse verschwindet und ich mir das Rückgeld in Münzen ausbezahlen lasse. Eine Glocke spielt eine freundliche Melodie. Ich könne die Türe ruhig offen lassen. Viel Glück. Der dicke Mann wendet sich wieder seiner Schokolade zu.

Du weißt, wo sie sind? Ihre Frage. Ich ahne es, antworte ich. Im Blickschutz der belaubten Bäume nehmen wir Umwege durch das Quartier in Kauf, um nicht von neugierigen Augen entdeckt zu werden. Es ist wenig riskant, denn das Viertel liegt noch in einem komatösen Schlaf, nur aus der Ferne quengelt ein ungeduldiger Säugling, der bald gestillt ist. Die Kanister ziehen schwer an den Armen und Sabina feuert mich an. Ob das mit den Briefen ernst gemeint sei. Die seien doch überflüssig. Es sei ernst, sage ich und sie fragt nicht weiter. Bald treibt sie mich weiter an. Nur noch wenige Meter. Nein, eine Rast sei nicht angebracht, jetzt. Wir seien ja gleich da. Das hätten wir bald, und: Siehst du, man stehe ja schon im Garten.

Wir versuchen unsere Herzfrequenzen zu drosseln. Atmen langsam und tief. Der Vordereingang wie erwartet verschlossen. Das Gerüst, weiter verpackt wie ein Pausenbrot. Cellophanartig. Ein roter Wimpel weißt auf eine neue Dachrinne hin. Aufgehende Sonne spiegelt sich breit im glanzgewichsten Kupfer.

Das Gitterfenster. Der Fahrradraum. Die nun nützlichen Schneisen durch das Gestänge. Sabina fliegt ein paar Meter voraus und erkundschaftet das Gelände. Sehr günstig: Der Wasserpegel sei gesunken. Nahe Null. Ich taste mich an fast trockenen Kellerwänden entlang und stosse beim Überschreiten einer Schwelle gegen etwas weiches. Die Ratte: Pass doch auf! Und: ganz schlecht heute. Er hat nicht gut geschlafen und sei sehr angriffslustig. Und: er habe ordentlichen Appetit, den Kollegen habe es noch gestern Abend erwischt. Und: Ist das deine neue kleine Freundin? Das gehe ihn gar nichts an, und jetzt aus dem Weg. Ich trete die Ratte entschlossen zur Seite.

Zwei weitere Meter arbeiten wir uns vor, dann bremst uns ein ohrenbetäubendes Krachen. Die Holztüre des Nordraums bricht auf. Glühende Augen und tanzende Tentakeln suchen uns und schlängeln aus dem stinkenden Loch. Wir stören. Ein mattes Licht glänzt verholen aus einer fernen Ecke. Ich kann die Richtung der Briefbündel orten, vermute sie hinter dem Rücken der Bestie. Eine ungünstige Situation. Bewegungen. Langsame. Gleitende. Fauler Dunst trübt die Sichtverhältnisse und nähert sich uns. Die Masse röchelt, rückt weiter, zwängt ihr Zentrum durch den engen, nun ebenfalls berstenden Rahmen. Und: singt sanfte Töne. Lockt mit Lauten, die wie Worte klingen. Kann es sprechen? Ist das ein Kontakt?

Sabina flattert aufgeregt über meinem Kopf. Plan B, ruft sie. Plan B. Öffne die Kanister! Ein Inhalt ergiesst sich lautlos auf dem Boden und verteilt sich gluckernd im Gang. Mit dem anderen bespritze ich auf weiteres Drängen die Wände und Decke in seine vermutete Richtung. Es lässt sich nicht aufhalten und wird erst richtig böse, ja, wächst nun in erstaunlicher Geschwindigkeit. Verdoppelt und teilt sich, holt aus und will sich gegen uns werfen. Ich nehme wie geheissen die Streichholzschachtel aus meiner Jacke. Die Finger zittern ein wenig. Schwefel. Im aufflackernden Licht landet Sabina auf meiner Schulter. Schrillt: Jetzt aber raus.