Die Bambushex feiert ein Fest (notula nova 59)

Zur Veranschaulichung: Ein Buch ist das Frühstück. Ein Werk ist der ganze Tag und die halbe Nacht. (Und die Geschichte meiner Zähne: Beim Zahnarzt. Das Gummizelt in meinem Mund. Plastikbrillen für alle Beteiligten. Im Radio: The Smiths. Spandau Ballet.)

Nicht: das Basteln an fiktionalen Narrativen (=Schreiner), sondern: die Abbildung von ästhetischem Bewusststein (Maler). (Eine Übersetzung eines anderen Bildes, erfreulicherweise bei Nietzsche gefunden: And if you gaze for long into an abyss, the abyss gazes also into you.)

Und: der Hypochonder als Beamter des körperlichen Schmerzes (Kluge / Vogl, Soll & Haben, 32). (Und: Sie hat einen etwas irritierenden Ziegenbart.)

Tonight is the night. Die Nacht des Tags des Festes. Ein Ereignis, worauf 1 Jahr lang hin gewirkt wurde. Die Gartenparty. Die Plastikstühle nun mit hellem Leinenüberzug. Die 8 Personen. Der wahrscheinliche 3-Gänger. Die 8 geladenen Gäste. Sie: in schwarzer, ärmelloser Robe. Der Hausfreund. Der gekühlte Weisswein. Die Gespräche mit abgespreizten kleinen Fingern. Es dunkelt schon ein wenig. Man knipst die bunten Lampions an. Verkneift sich Kritik an einem winselnden Baby. (Der Chor auf der Empore, man geht grosszügig darüber hinweg.) Man hat sich etwas zu erzählen. Man murmelt.

Der Hausfreund in grünem T-Shirt. Der Sonnenschirm in orange. Klappt zusammen. Ein Kind schläft ein. Was gibt’s denn als Hauptspeise? Etwas Beklatschtes. Etwas animiert zu lachen. (Der Nachbar B. von 2 Etagen über uns klingelt. Es seien noch Sperrsitze frei, falls man auf Augenhöhe beobachten wolle … mal sehen.) Die Vöglein zwitschern im Walde. Warte nur balde. (Die Söhnchen sind nun auch im Bett. 1 schläft, 1 dämmert. Mal sehen.) Sonst scheinen die Ränge fast leer. Da ein Gesicht hinter Geranien. Dort ein Fuss aus einer Hängematte, baumelnd, hinter einem Geländer. A ist das Andere. B sind wir selbst. Man lobt die Terrasse. Man lobt die Gastgeberin und meint sich selbst. Ein laues Lüftchen weht uns herüber. Das Feigenbäumchen in der Ecke des Balkons. Das Bier fast leer. Gute Nacht.

Peter von Matt über den “sicher gestandene(n) Abgang” (NZZ, 22.8.): “Der Stil eines ganzen verdichtet sich im stilistisch perfekten Abgang … Was uns als die letzte Sekunde der schaffenden Arbeit begegnet, wirkt zurück auf alles Vorhergegangene.” (Ein christlicher Mythos. Und genau hier liegt das Problem und die Schwierigkeit. Ein Denken in Kategorien ästhetischer Vollendung versperrt den Weg der Rezeption bspw. eines literarischen Weblogs (wenn man doch endlich einen anderen, neutraleren Begriff besässe! (Etwas Offenes, etwas Sendendempfangendes u. dgl.)). Dieses (sein Prozess, sein Fortschreiten und –schreiben, seine Tiefenstruktur) als Werk denken zu können (auch: jenseits einer chronologischen Richtung, vgl.: ANH, kybernet. Realismus) und es damit überhaupt bedenken und fassen zu wollen: solch einer Ideologie ästhetischer Vollendung muss die Endlichkeit vorgeführt werden. Der historisch-kritische Ansatz wäre ein Teil der Arbeit. Ein anderer der diskursanalytische. Aber auch: die Befreiung des Werks aus seinem papiernen Gefängnis … )

Hier noch zu montieren: Zitate zur Illusion von Werk-Sinn-Einheiten. Texte gegen ästhetische Maximalisierungsphantasien. Altväterliche Orthodoxien u. dgl.

Was ist ein Gestell? (notula nova 58)

Und: Information besteht aus Unterschieden, die einen Unterschied machen. (Dieses Zitat ist nicht von Gregory Bateson).

Und: das müsste dann immer so weitergehen. Allerdings würde es auch immer selbstreferentieller werden. Jeder Satz und jedes Wort würde immer wieder mit einem anderen, mit dem darauffolgenden schlafen.

Überhaupt: “Wir nennen jetzt jenen herausfordernden Anspruch, der den Menschen dahin ersammelt, das Sichentbergende als Bestand zu bestellen – das Ge-stell.” (…) “Ge-stell heißt das Versammelnde jenes Stellens, das den Menschen stellt, d. h. herausfordert, das Wirkliche in der Weise des Bestellens als Bestand zu entbergen. Ge-stell heißt die Weise des Entbergens, die im Wesen der modernen Technik waltet und selber nichts Technisches ist. Zum Technischen gehört dagegen alles, was wir als Gestänge und Geschiebe und Gerüste kennen und was Bestandstück dessen ist, was man Montage nennt.” (Heidegger, 1962)

Zur “Verlangsamung” als 5. Kunstsorte (Müller, Gespräche 2, 310): Nach Lyrik, Epik, Dramatik, Kritik (A. Kerr). (Entschleunigung, würde man heute sagen. Vielleicht ist diese 5. Sorte auch eine Aufhebung, Zerstörung, Rekonstruktion der 4 Anderen. Die Verneinung von Gattungsidealen, die Werkidealen vorauseilen. Vielleicht ist tatsächlich der Prozess des Entstehens gemeint, per se einer, der akklamierte Vollkommenheit beiseite schiebt. Zur Entschleunigung gehörte es also wahrscheinlich, Text zu produzieren, der sich diesem Gattungsstreben entzieht. Der auf Augenblicklichkeit setzt. Einem langen Augenblick entlang. Wieder und wieder.)

Haiku, systemtheoretisch:

Auf dem Arbeitsamt

Nach Abschaffung des Wetters

Meteorologen

(Heut spritz die Bambushex nicht ihr Gemüse sondern Gartenplastikstühle ab. Wer mag darauf sitzen?)

Ländliches (notula nova 57)

An den Seerändern

Die Kaltbauwohnungen der

Steuerflüchtlinge

Die Fahnengeschichte: am 31.7., abends, den Fahnenmast gerichtet zum Aufzug der Fahne zum Nationalfeiertag. Nicht das Schweizerkreuz, sondern ein weisses Laken genommen. Die Unterlaufung des Paradigmas “Beflaggung des Eigenen / Ausgrenzung des Anderen” funktioniert nämlich nicht durch Nichtbeflaggung, weil diese nicht sichtbar wird. Auch eine zeichenhafte Gegenbeflaggung ist paradigmaerzeugend oder –stabilisierend. Die weisse Fahne dagegen kommt der Subversion aber noch am nächsten, ist totale Inszenierung des Neutrums, auch, wenn “weisse Fahne” semantisch stark besetzt ist. Jedenfalls bleibt das Laken auf mittlerer Höhe des Mastes verheddert stecken und ist weder nach oben noch nach unten zu befördern. Wir erweitern die Codierung des Symbols. Aber auch: Panik, weil der Zustand eingefroren. Erst am Mittag des folgenden Tages kann das Problem durch das beherzte Eingreifen des Kantonsratspräsidenten von Luzern auf raffinierte Art gelöst werden.

Noch zu Schreiben über: das literarische Weblog als Quellort von disseminierten Texten sui generis. Wird ein Eintrag entfernt (gelöscht, verändert, ausgehölt, ausgelagert, blockiert, passwortgeschützt) so existieren (theoretisch, praktisch) Kopien und Spuren von Kopien auf Servern, in Mailaccounts, Readern, die auf den Ursprung verweisen, die ohne diesen Kontext aber nun als Texttrabanten losgelöst und für sich existieren. Die Blütenstaubmetapher, klarer, varianter: Das Pusteblumenprinzip.

(Vor Jahren hatte ich eine Antwort versprochen, hier ist sie: Ihre Schreibweise, Fallobst, HerrG, Kilbi oder wie sie sich morgen nennen mögen, kommt in unseren Augen leider nicht über reproduzierendes, zitierendes, vernetzend- und verletzendes Epigonentum hinaus. Dies soll nun aber keine Wertung ihres Werkes sein. Wir sprechen hier lediglich über die Kugel ihres Kugelschreibers.)

In Peru dagegen, sagte man mir, besteht für alle die Pflicht, am Nationalfeiertag die Hausfassaden zu weisseln. (Imfeld Zelt Vermietungen: Die Nationalhymne wird angestimmt. Drei Strophen brüchiger Heiligkeit. Gegenseitiges Taxieren. Wer steht auf, wer singt mit, wer tastet mit der Hand an seinem Herz? Unsicherheiten in Text und Metrum. Heiligkeit des Scheins. Das Spannferkel (sic!) dreht sich weiter. Ein Jodlerchor unterstützt. Danach ein Ländler. Dann wieder Service.)

Und: vielleicht doch noch einen Versuch starten Luhmann (im Original) zu lesen. (Überhaupt: herauszubekommen, was das zu Lesende wäre, das – in diesem Sinne – Fruchtbare.)

Am dritten August

Wolken halbieren den Berg

Drei Horizonte

German Englishlearners: Please do pronounce Kant as “can’t” (notula nova 56)

Und: Kunst = Ideen auf den Prüfstand von Erfahrungen bringen. (Müller, Gespräche 2, 177)

Ebd. f.: Baudelaire vs. Benn: “Langeweile ist der auf die Zeit verteilte Schmerz” vs. “Dumm sein und Arbeit haben, das ist das Glück”.

Achtung: in 10 Minuten erscheint hier ein

noch unveröffentlichtes Gedicht von Durs Grünbein!


(Wie der Kalauer auf Kneipenschildchen: “Morgen gibt’s Freibier”.)

Aber: Auch über den Schrägstrich nachdenken, bspw. über die Differenz wie in

Ost/West

Ost/ West

Ost /West

Ost / West

undsoweiter. (Man denke an die ungeheure Akribie und Effektivität in der Anwendung solcher Zeichensysteme bei Leuten wie Jirgl, Schmidt etc. A.a.A.a.: Schlotmann.)

Überhaupt: Dekadenz als Triebunsicherheit (Nietzsche)

Zur Idee der “Diskreditionen” bald mehr, in diesem Theater …

Überhaupt: “Das sagt ja alles: Bielefeld” (Medientheater, 123)

(Unter unserem Schlafzimmer beginnt vor 7 Uhr am Morgen ein junger Mann (mit Hörschutz) das hohe Gras auf einem aufgeschütteten Erdhügel mit einem lauten Spezialrasenmäher zu mähen. Gegen diesen Lärm ist nicht zu protestieren, weil man sich nicht mit der benachbarten Baufirma (mit der man 1 gutes Verhältnis pflegt) anlegen möchte, der man gestattete auf dem eigenen Privatgrundstück die Erde zu deponieren. Nein, man muss diesen Lärm als Segnung, als Zeichen, als Allegorie gottgewollten Lebens begreifen und annehmen.

Anders, Amen: wie handeln, wenn offensichtlich ein kategorischer Imperativ immer weniger zu funktionieren scheint. Also auch die Frage nach der Toleranz gegenüber Intoleranz. Ich denke, der Hinweis darauf ist wichtig, da sonst direkt oder indirekt an dessen Abschaffung gearbeitet wird. Die Umkehrung aber, der Verweis auf eigene Intoleranz fällt in einen gewissen Bereich von Herrschaft(sillusion), die einerseits zu duckmäuserischem Verhalten führt, gleichzeitig aber auch den Imperativ als Argument benutzt.)

Aber: ist man auch Schriftsteller, wenn die NZZ das so schreibt? (Diese lügt bekanntlich nicht.)

Zur Theorie der Diskreditionen:

– nebenbei: ein Spiel mit / Test der Neugierde potentieller Leser auf Diskretes mit einer künstlichen Zugriffs- / Hemmschwelle, also: dem Spiel / Test, ob es tatsächlich so ist, dass etwas kosten muss, damit es etwas wert ist.

– Die Installation einer anderen Form digitaler Autorschaft, eines anderen, verborgenen Autoren-Ichs. Die ungefilterte Sammlung von Positionen zu Personen, Texten, Ereignissen, durch den Autor … die Art und Weise einer (meist kurzen) Textreaktion aus dem Halbverborgenen heraus. Eine tatsächliche (oder auch: vorübergehende) Aufhebung der an vielen Stellen eingeführten fiktionalen Erzähler- oder Autorschaft durch Anreicherung der Autorfunktion … seine “diskrete” Natur.

Und: Religion, Religiosität als Technik, mit 1 Schlag sämtliche Abstraktionen undifferenziert plausibilisieren zu können.

Dann, Katastrophe: hat man etwas Nichtgenehmes zum Mittagessen besorgt. (Aber wenigstens hat man daran gedacht, dass morgen ein Feiertag ist. Und wenigstens hat man auch noch die Einkäufe erledigt. Bergauf.)

Caught in the act (notula nova 55)

Weiter unten: Die Ömchen auf dem Seestern auf halber Fahrt nach Sachseln, von Erdbeertörtchen völlig überzuckert.

Auch: Das Unsichtbare Theater (+) … Vielleicht: einem Informationstext ähnlich, der im Rahmen einer spezifischen Handlung oder eines spezifischen Kontextes überhaupt als literarischer Text erkennbar wird. Grotowsky, Brook, Boal und das living theatre.

(Montagmorgen im Baugeschäft gegenüber. Es ist 6h30 und die Arbeit beginnt. Die Erzeugung von Geräusch. Schallwellenproduktion. Die Herstellung von Wachheit, als protestiere man. Eine Steinsäge, ein Betonverlad. Die Arbeit an der Grenze von Tageszeit.)

Krötentrockene

Halbehänderlwolkenform

Ein Tuch weht im Wind

nur endlich Regen

kaum etwas fehlt zum Leben

endlich nur Regen

Berechtigterweise gegen die Optimierungswut von Produktionsprozessen sein. Man will auch neben der Arbeit leben können. (Nicht zu vergessen: die Blitze, die écriture der Wettergewalten. Shortshortstories, Zeichenfiguren, kaum speicherbare Schrift, Erhabenes.)

Und: etwas Milch ist umgekippt. Die Obwaldener Polizei ist unterwegs um den Fall zu untersuchen.

(Nach zehn Jahren aber, gab man dem in Isolationshaft befindlichen Gefangenen endlich etwas anderes zu lesen. Die ganze Zeit über hielt man ihn mit kanonischen Klassikern der Philosophie bei Laune, mit bekannten Fantasyromanen oder Gedichten einer seit langem verdrängten Schule. Nun aber wurde er wieder mit Nachrichten versorgt. Tagesberichten zur Lage der Nation, Reportagen über Städte, Regionen und Länder mit deren Namen er nichts mehr anzufangen wusste, ja, von denen er noch nie gehört hatte. Dossiers mit Hinweisen auf jüngste technologische Entwicklungen und Gerätschaften, generell, Texten der Güte, wie man sie zu seiner Zeit in Zeitschriften und Nachrichtenmagazinen lesen konnte. Durch das lange Aussetzen des Umgangs mit so weltlichem Text, der völlig jenseits eines ihm zuhandenen Referenzsystems stand, dachte er sich mit einem Mal die Welt neu. Bald wurde berüchtigt, dass man ihn dahingehend befragen konnte: über Zusammenhänge, die selten oder nie in anderen Gremien oder Foren zur Debatte kamen. Und seine Urteile darüber waren stets richtig und bedacht. Es dauerte nur noch wenige Jahre, bis sein Rat und seine Urteilskraft die wichtigste Entscheidungsinstanz und er der mächtigste Entscheidungsträger des Landes wurde, ohne aber, dass er je auch nur ein Wörtchen davon erfahren hätte.)