taberna kritika

Paare am Morgen XII

Sie ist im Begriff nach einem Filter zu suchen. Ihm gegenüber, von ihm durch eine Mauer getrennt – würde sie durch die Schranktüre, vorbei an Töpfen, durch Rückwand, Tapete, Stein, die Holztäfelung, Bücherregal, vorbei an den Büchern schauen können, der Blick sich winden und durchdringen können, sie würde sehen, dass er sich in diesem Moment über seinen Schreibtisch beugt. Sie würde sehen, wie sich sein Rücken krümmt und seine rechte Hand nach einem Stift, die linke nach einem kleinen Stück Papier greift, würde vermuten, er wolle etwas aufschreiben, etwas, das ihm gerade in den Sinn gekommen war, was er nicht vergessen, womit er sich später noch beschäftigen will. Was es wohl wäre, würde sie sich fragen.

Buch, Regal, Verkleidung, Stein, Tapete, Schrankwand, Topf und Türe – diese Dinge puffern den Verdacht der Frage. Der, die Last des ungeraden Blicks an seinem Rücken dennoch Spürende, diesen Blick in einem Spiegel knapp verfehlend, der, zurückgeworfen, jene Frage falsch verstände, atmet ein.

Dranmor VII,4d

(Bar Brasil)

Ein letztes Bier, schlägt Fernando vor. … noch einen nehmen, so sagte er es.  Hier, diese Bar habe neu eröffnet. Eine brasilianische Bar, wahrscheinlich viele Einwanderer und Asylsuchende, aber hier in diesem Viertel sei nicht mehr so viel geöffnet, nicht an einem Montag um diese Uhrzeit, es sei ja auch schon drei. Und es sah freundlich und harmlos aus, von aussen. Ein bisschen billig auch, die Fenster verklebt, mit knalligen Aufschriften in grün und gelb. Wir treten durch eine abgedunkelte, schwere Glastüre – ein süsser Dunst schlägt uns entgegen. Kitschiges Ambiente. Tropfsteinhöhlenrequisiten aus Pappmachee. In der Ferne ist ein DJ-Pult, dahinter eine etwas ältere Frau in hautengem Etwas zu vermuten, angestrahlt, leuchtend, hinter ihr eine barbusige Comicfigur, eine Frau mit Vampirzähnen und Fledermausflügeln. Aha, eine Mottobar, meine ich zu Fernando, From Dusk till Dawn – für Arme und noch nicht mal was los hier, entgegnet er, aber gut, für ein Cervesa sollte das reichen. Wir müssen uns beinahe anschreien, so laut die Musik, Hiphopmusik mit brasilianischen Anspielungen. Wir nehmen Platz an einem nächstbesten Tisch in der Mitte des Raumes, hinter uns, das fällt mir jetzt erst auf, eine Stange auf einem kleinen Podium, ausgeleuchtet, der Hintergrund, eingefasst in rotem Samtimitat. Es sei einmal ein Puff hierin gewesen, man habe nicht viel verändert. Die Besucher. Meine Frage an Fernando, ob es sich nicht vielleicht doch immer noch um einen Puff oder so etwas ähnliches handelte, nachdem ich in einer Nische vier herumalbernde Mädchen in nur äusserst spärlicher Bekleidung gesehen habe. Eine steht nun auf, läuft zu dieser Stange und räkelt und windet sich um sie und und an ihr ich vermute, dass es sich hierbei um keinen neuen Tanzstil handelte. Überhaupt, nur halbnackte Mädchen, hier. Aber es sei ja eine brasilianische Bar, und, wie ich vielleicht wüsste, sei dort ja prinzipiell alles ein bisschen zwangloser. Ich entgegne nichts. Und dass vielleicht die eine oder andere … eine Bedienung kommt an unseren Tisch, auch sie sozusagen in zwangloser Strandkleidung. Wir bestellen zwei Biere. Augenpaare suchen meinen Blick, von allen Seiten. Fernando hat nichts zu sagen, im Moment, hält die Hände unter dem Tisch und sieht alles in allem etwas in sich versunken aus. Dort drüben, eine dunkle Langhaarige, sitzt alleine und schlägt die Beine übereinander, blinzelt. Ich schaue weg. In einer anderen Ecke, ein Mädchen löst sich aus ihrer Mädchengruppe und kommt zu uns herüber, nein, kurz vor unserem Tisch bleibt sie stehen und fängt zu tanzen an. Unsere Getränke werden gebracht, ein Kassenausdruck wird diskret unter die Schale mit Nüssen geschoben. Sie murmelt etwas, streicht mit der Hand über eine Ecke des Tisches, lacht und trippelt wieder zurück an ihre Bar. Mir fallen ihre hochhackigen Schuhe, die eigentlich nur Absätze sind, auf. Eine Gruppe junger Männer tritt ein. Vier Jungs, die sich hier bestens auszukennen scheinen, grüssen das Mädchen an der Bar, die neben uns Tanzende und gehen zu der Sofaecke neben dem Mischpult. Die Frau hinter den Plattentellern grüsst sie mit einem knappen Blick, der nichts bedeutete. Ich bin etwas nervös, Fernando scheint sich zu langweilen.

Paare am Morgen – live

Sie hat heute Preise bekommen. Den Dritten, den Fünften, den Achten und den Zehnten. Eine öffentliche Preisverleihung fand nicht statt.

Köln, 09.10.04: Christina Messner (v) und Inka Ehlert (vc) improvisieren im Grünen Salon zu hab und den Paaren am Morgen I, VI, VIII, IX, X und XI. Einen furchtbar übersteuerten und verrauschten Live-Mitschnitt in mangelhafter iTalk/ Griffin-Qualität (wav, 16 Mb, 16 min.), mit Handygeklingle, Räuspern, Husten und dergl. und das ganze garantiert unbehandelt, gibt es hier. Aber, ich warne Sie! Tun Sie sich das lieber nicht an …

Paare, poesis

1) Es sind er und sie. Doch das sei nur eine mögliche Konstruktion. Ein Durchschnittskonstrukt. Ebensogut könnte es sein, dass es sich um eine ganz andere Paarung handelte, eine andere Gattungskombination, eine andere Verbindung. Man könnte die verschiedenen Elemente zählen und nach einer bestimmten Formel multiplizieren. Vielleicht würde ein n darin vorkommen, aber das täte nichts zur Sache.

2) Vielleicht handelte es sich aber auch gar nicht um Menschen. Weder um ihn noch sie im fleischlichen Sinne. Ganz sicher sogar handelte es sich nicht um reale Entitäten. Vielleicht um nichtideale Ideen, die sprechen können, manchmal, so scheint es.

3) Es ist erst Morgen. Es ist am Morgen. Vielleicht zwischen sieben und acht Uhr. Zeit der Halbwahrnehmungen und Halbwahrheiten, der halbautomatischen Handlungen. Man muss sich zu so einer Zeit auf Routinen verlassen können. Gedanken, wenn es welche gäbe, kämen von selbst. Es sei denn: Es gäbe Vorgaben. Dringlichkeiten, die Kontinuität schafften. Zwischen Tag und Nacht. Zwischen Tag und Tag.

4) Es wird nicht gesprochen. Wenig gesprochen. Jedes Wort schmerzt. Es wird vielleicht gedacht. ES denkt.

5) Es ist ein Argumentieren. Eine Aussage, ein Vorschlag, eine Verlautbarung, ein Sprechakt steht im Raum. Fast könnte man sagen: eine These. Aber nicht so fest, so präzise, unumstösslich oder verhandelbar. Gewissheit – Verhandlungsmasse.

Subjektives Kapital, das sich entwickelt, Zinsen bringt, sich vermehrt und in Spekulationen wieder verloren geht, mit anderen Dingen gehandelt, gekauft oder getauscht wird. Erfahrungen, Sätze, aber oft auch: Sprachlosigkeit.

6) Die Paare sind Texte, Blöcke, die sich optisch gegenüberstehen, einer über dem anderen, nicht immer aber Fronten bilden. Sie haben Bausteine (aus-)getauscht und in sich versenkt. In diesem – Mauerwerk von jenem. In jenem – von diesem. Schnittmengenbildung mit Graben und doch Linearität auf der einen Seite. Wohin führt der Austausch? Zu Nichts.

7) Jeder Morgen ist grau. Immer.

8) Warum sind die Paare immer noch zusammen? Einzeln sind sie Nichts. Zu nichts fähig. Sie sind so stark miteinander verwoben und verbaut, würden sie getrennt werden oder sich trennen, würde mindestens ein Teil mit Sicherheit absterben. Würde die logische und logistische Verbindung gekappt werden – es wären zwei langweilige Tagebücher, vielleicht.

9) Der letzte Punkt ist dort, wo der schale Nachgeschmack beginnt. Ein Kaffee, mit saurer Milch versetzt, der getrunken wurde, einen Schluck nur, und der Geschmack, nicht mehr aus dem Rachen zu bekommen, auch nach mehrmaligem Spülen nicht.

ff.